Donnerstag, 29. Oktober 2009

MASH, Quicksilver, Fixies, Fakenger, Spandex und der neue Golf Variant


MASH SF DVD INTRO 2007 from MASH TRANSIT PROD on Vimeo


2007 brachten ein paar Jungs aus San Francisco eine Film-DVD mit dem Titel M.A.S.H. raus. Das hatte nichts mit dem Antikriegsroman von Richard Hooker, dessen Serien- und Filmumsetzung oder gar den Inspiral Carpets zu tun, außer vielleicht, dass die Bezeichung M.A.S.H. genauso wie in Hookers Roman für eine fiktive Einheit stehen sollte. Allerdings ging es hier nicht um Krieg, zumindest nicht im geläufigen Sinne, sondern darum, auf modifizierten Bahnrädern möglichst elegant durch den Stadtverkehr zu kommen. Das ist ihnen auch gelungen. Sieht man sich M.A.S.H. (SF) an, hat man inbesondere bei den Aufnahmen aus der Totalen das Gefühl, die Fahrer reiten nicht auf Rädern, sondern auf einem Surfbrett oder einem Skateboard, immer auf der Suche nach der nächsten Lücke in der Autoblechwelle.

Begonnen wurde mit den Dreharbeiten, soweit ich weiß, schon in 2004. Zu dieser Zeit hatte ich im Netz auch das erste Video im Blair-Witch-Project-Style von Lucas Brunelle gesehen, jenem Wahnsinnigen, der damals (und wahrscheinlich noch heute) mit seiner Helmkamera hinter New Yorker und Londoner Fahrradkurieren durch schmalste Lücken und oftmals gegen die Verkehrsrichtung her fuhr. Das muss auch die Zeit gewesen sein, in der es langsam populär wurde, auf Bahnrädern außerhalb eines Radstadions zu fahren. Das war zwar bei Fahrradkurieren schon seit den frühen 80er Jahren beliebt, weil an solchen Rädern weder Bremsen noch eine Schaltung ist, mithin nichts, was ständig gewartet werden muss oder anfällig ist. Ich nehme mal an, die ersten, die damit angefangen haben, waren Kuriere aus NYC.

Sehen konnte man das jedenfalls schon in der 80er Jahre Schmonzette Quicksilver, die in NYC gedreht wurde (aber auch in San Francisco, weil es in NYC keine so tollen Gefälle mit >10% gibt, wie sie im Film zu sehen sein sollten). Zu Quicksilver hatte ich ja hier und hier schon mal kurz was geposted. Im diesem Film spielt Kevin Bacon einen geschassten Broker, der, ähnlich wie 15 Jahre später Kevin Spacey als Lester Burnham in American Beauty, wenn auch aus etwas anderen Gründen, nur noch einen Job für Spätpubertierende mit möglichst nur Verantwortung für sich selbst übernehmen will und auf einem Fixie reitend dann doch wieder sein Verantwortungsgefühl für andere entdeckt und sogar die Welt rettet. Oder zumindest einen Kollegen. Und dann wieder Broker wird. Aber das führt jetzt etwas vom Thema weg. Auch wenn es mich ein bißchen an mich erinnert.


via

Jedenfalls begannen irgendwann vor oder nach 2004 einige jugendliche Hipster damit, solche für den Kurieralltag modifizierten Fixies als Commuterbikes zu fahren und Kunststücke damit zu machen, die sie von meiner Generation (ich habe E.T. noch im Kino gesehen), die das alles schon auf BMX-Rädern gemacht hat, geklaut haben. Nicht einmal neue Namen für die Kunststückchen haben sie sich überlegt.

Geklaut haben sie übrigens auch die "Insignien" der Fahrradkuriere und fahren heutzutage mit leeren, aber sauteuren Messengerbags von Chrome oder Bagjack durch die Gegend, krempeln sich die Hose hoch oder tragen 80er Jahre Röhrenjeans, während ihnen das obligatorische Evolution-U-Lock von Kryptonite gegen das Steißbein drückt und sie in unfunktionellen 90er Jahre Karoflanellhemden wie die Biber schwitzen. Fahrradfahren kann nämlich auch anstrengend sein, vor allem bergauf und ohne Schaltung. Eigentlich warte ich noch darauf, dass jemand eine Fake-Funke rausbringt, so ein Faux-Motorola, das auf Knopfdruck eine sich meldende Dispo imitiert. "Krrrrrccchhhh, Eins-Zwo-Siem-Siem-bitte melden... rausch..." Er würde bestimmt noch reich werden. Allerdings müsste er sich damit auch beeilen. So sieht übrigens das große Einmaleins für Fakenger aus:


Fürs Kleingedruckte aufs Bild klicken!

Um den Text jetzt nicht zu lang werden zu lassen, ich bekomme schließlich kein Zeilenhonorar: dank Youtube & Co hat sich das Ganze, wie bereits angedeutet, in kürzester Zeit viral verbreitet und findet gerade, wie soll es auch anders sein, in Japan, bei Amazon und auf den Prêt-à-porter-Modeshows, auf denen die Klamotten der Models so fixietauglich aussehen wie bei Nena in 1983 oder Kurt Cobain in 1993 sowohl seinen Höhepunkt als auch sein Ende. Und so werden die Tage sinnlos kurzer Stummellenker und unorthodoxer Laufradsätze mit hinten 28" und vorn 27", 26" oder gerne noch kleiner bald wieder Geschichte sein. Bis jemand in 20 Jahren das Ganze wieder ausgräbt.


via steht ja auf dem Bild (dort sind auch sehr gute Fotos von Tokioten)

Und die Jungs rund um das M.A.S.H.-Projekt aus San Francisco, um wieder die Kurve zum Anfang zu bekommen, die sind zwischenzeitlich erwachsen geworden. Garret Chow zum Beispiel, der hier in einem lesenswerten Interview zusammen mit Jonathan Burkett ein wenig aus dem Nähkästchen plaudert, ist mittlerweile fast so alt wie ich. Alle haben offenbar respektable Dayjobs und künstlerische Erfolge als Designer, Fotografen oder Filmer vorzuweisen und sicherlich noch nette Nebeneinnahmen durch die Hergabe von Namensrechten an Fahrradvollsortimenter wie CINELLI. Vermute ich zumindest. Vielleicht machen sie sogar mal Werbung für eine Familienkutsche von Volkswagen, so wie Danny McAskill, um noch einmal mein Tagesthema anzureißen.

Und jetzt gibt es (wahrscheinlich) bald eine neue M.A.S.H.-DVD. Zumindest gibt es neue Videos im Netz. Da fahren die Jungs die Strecke der Tour of California 2009 ab, wenn sie nicht gerade von dem Stunden später gestarteten Feld der Pros überholt werden. Und sie tragen neuerdings uncoole Spandexklamotten. Genau wie ich.



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