Montag, 7. Dezember 2009

Nico Muhly | Mothertongue (2008) & Speaks Volume (2006)


Nico Muhly @ AB Domino Festival Tour Concert Gig-7
Photo by
Kmeron



Zweifellos ein Wunderkind. Das von Rechts wegen ein Popstar sein sollte. 1981 geboren, 2003 Abschluss an der Columbia in englischer Literatur, 2004 Masterabschluss in Musik an der renommierten Juilliard School, wo er bei Christopher Rouse und John Corigliano Komposition studiert hat. Schon früh eine Art musikalischer Ziehsohn von Philip Glass, mit dem er intensiv in verschiedenen Funktionen zusammenarbeit. 2004 die erste Zusammenarbeit mit Björk bei Oceania (Piano Mix) auf Medúlla. Danach und bis heute weitere Arbeiten für und mit Künstlern, die ich sehr schätze, an deren und eigenen Projekten, wie Bonnie 'Prince' Billy, Antony Hegarty (Antony and the Johnsons), Ben Frost, Valgeir Sigurðsson (der auch Muhlys Erstling Speaks Volume produzierte), Rufus Wainwright, The National, Teitur und immer wieder Björk. Wunderschön finde ich auch seine Streicher/Bläser-Arrangements auf Sam Amidons Album All Is Well, insbesondere bei der hier bereits gelobten Neuinterpretation des Tradionals (Pretty) Saro.

Parallel unzählige Arbeiten im und mit dem 'klassischen Lager': Boston Pops Orchestra, Chicago Symphony's MusicNOW, The American Symphony Orchestra, The Julliard Orchestra, The Boston University Tanglewood Institute Orchestra, The American Ballet Theatre (für den Choreografen Benjamin Millepied). Muhlys Arbeiten wurden mittlerweile bei der BBC, in der Carnegie Hall, dem Whitney Museum und der New York Public Library aufgeführt.

Gerade dieser ständige Wechsel zwischen vermeintlich unterschiedlichen Schubladen und deren scheuklappenlose Vermischung zu homogener zeitgenössischer (schreckliches Wort) und, wie ich finde, sehr spiritueller Musik, ist das, was mir an ihm so gut gefällt. Auch wenn man Interviews* mit Muhly liest, fällt auf, dass er offenbar wie ein Irrlicht wissensüberschäumend von Thema zu Thema dem Interviewer davonspringen kann. So ähnlich ist auch seine Musik. In ihr kann ich Taverner und Tallis hören, Purcell, auch viel Britten, Kancheli, und Riley, und Reich und immer wieder Philip Glass. Ich bin gespannt, wie Muhly in der Gesamtschau klingen wird, wenn er doppelt so alt ist wie heute (was ich altersmäßig gerade noch hinbekommen müsste).

*Sehr lesenswert finde ich den im New Yorker erschienen Artikel/Interview: Eerily Composed (Nico Muhly’s sonic magic) von Rebecca Mead.



Mothertongue (2008) ...





















<a href="http://nicomuhly.bandcamp.com/album/mothertongue">Mothertongue: I. Archive by Nico Muhly</a>



... besteht aus drei Komplexen, die sich wiederum in einzelne Abschnitte aufteilen.

Mothertongue handelt, so wie ich es verstehe, von den uns begleitenden Erinnerungsstücken und deren Kodierung in Sprache und Zeichen. Solche Bruchstücke rezitierende Stimmen und Stimmgeräusche (Schmatzen, Schnalzer, usw.) laufen in Mothertongue durcheinander und erinnern mich an das Abbild einer stark fragmentierten Festplatte.

Wonders könnte das Tagebuch eines Zeitreisenden sein, aus einem Steampunkroman, wie ihn vielleicht Jules Verne geschrieben hätte. Muhly schrieb dazu:

.. trying to write, in a sense, a soundtrack for a cabinet of wonders: eels, counter-tenors, drunks, jetlag (Klappentext).

The Only Tune erzählt das in vielen Ländern existierende Volksmärchen von den zwei Schwestern. Dabei lehnt sich Muhly an die Ballade The Miller And The King's Daughter an, die aus dem Märchen ein Volkslied gemacht hat, das seltsamerweise trotz des eher gruseligen Textes oft als Wiegenlied gesungen wurde; die Folkelemente und Folkinstrumentierung spiegeln die Geschichte wieder:
When the murdered girl's body floats ashore, someone makes a musical instrument out of it, generally a harp or a fiddle, with a frame of bone and the girl's long golden hair for strings. The instrument then plays itself and sings about the murder (wiki).



Speaks Volume
(2006)...






















<a href="http://nicomuhly.bandcamp.com/album/speaks-volumes">Clear Music by Nico Muhly</a>


... wird oft schlagwortartig mit Kammermusik und Electronica beschrieben, was ein erster Eindruck sein kann. Allerdings ist der Electronica-Anteil eher subtil und die einzelnen Stücke sind reich an Zitaten/Referenzen (zu den Verdächtigen siehe Einführungstext oben) und Details, z.B. statisches Rauschen und Knacken, Griff- oder Klappengeräusche der Instrumente oder Füßescharren, Geräusche, die sonst tunlichst abgestellt werden, die aber hier nicht nur eine intime Atmosphäre schaffen - wie beispielsweise auch auf dem 2000 erschienenen Soloalbum von Mark Hollis - sondern offenbar als Teil des instrumentalen Klangs wiederentdeckt, gesampelt und neu eingespielt wurden. Zu den einzelnen Stücken gibt es viele Hinweise von Daniel Johnson im Booklet oder im Infotext des Players.


//